ein Gastbeitrag von Julia Bodensteiner:
Die Orientierung im unübersichtlichen „Fördermarkt“ ist herausfordernd, da viele Angebote mit teils überzogenen Erfolgsversprechen vorliegen. Anders als bei medizinischen Behandlungen fehlen strenge Zulassungs- und Evaluierungsvorgaben für pädagogisch-psychologische Interventionen. Jede Methode kann angeboten werden, ohne objektive Wirksamkeitsprüfung. Die Beurteilung bleibt oft den Anwendern überlassen, was unbefriedigend ist. Die Auswahl an Förderprogrammen in der schulischen (Sonder-)Pädagogik sollte sich nicht am Preis oder an der Werbewirksamkeit der Verlage orientieren, sondern an der Effektivität der einzelnen Verfahren. Erfüllt ein Förderprogramm die Voraussetzungen einer soliden theoretischen Fundierung und einer durch kontrollierte empirische Evidenz belegten Wirksamkeit, kann es als evidenzbasiert bezeichnet werden. „Evidenzbasierte sonderpädagogische Praxis stellt letztlich ein Gesamtkonzept dar, das wissenschaftliche Erkenntnisse mit den situativen Anforderungen verbindet und konkrete Handlungsmöglichkeiten identifiziert. Professionelle verwirklichen dadurch das Recht auf inklusive Bildung, nämlich eine den Bedürfnissen angemessene Unterstützung.“ (Hillenbrand 2015, S. 322)
Evaluierte und ausgearbeitete Förderprogramme verschaffen Lehrkräften durch konkrete Anleitungen und Materialien Handlungssicherheit, welche gleichzeitig zur Wirksamkeit beiträgt. Doch wie schätzt eine Lehrkraft Programme möglichst schnell und sicher hinsichtlich ihrer Effektivität ein?
Blumenthal et al. (2020, S. 51 f) empfehlen die SAFE-Kriterien, welche durch folgende Fragen überprüft werden können:
- Struktur: Folgen die einzelnen Schritte einer klaren und strukturierten Abfolge?
- Aktivität: Setzt die Maßnahme auf aktive Methoden und Übungen, die das gewünschte Verhalten gezielt trainieren?
- Fokussierte Fähigkeit: Enthält die Maßnahme mindestens einen Baustein, der speziell die angestrebte Kompetenz fördert?
- Explizite Ziele: Sind konkrete Förderziele angegeben?
Die Datenbank „Grüne Liste Prävention“ bietet auf der Basis nachvollziehbarer Kriterien einen Überblick empfehlenswerter Präventionsansätze für verschiedene Problemverhaltensweisen in unterschiedlichen Kontexten. Programme können gezielt nach den Risiko- und Schutzfaktoren recherchiert werden.
Zur Lese- und/oder Rechtschreibstörung sowie zur Rechenstörung veröffentlicht die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) Leitlinien mit systematisch entwickelten Aussagen, die den gegenwärtigen Erkenntnisstand wiedergeben (derzeit in Überarbeitung).
Die aufgeführten Maßnahmen haben einen präventiven Charakter und sind somit auf der Ebene der universellen Förderung im Response to Intervention Ansatz zu verorten. Thematisiert werden grundlegende pädagogische Aspekte mit dem Ziel eines effektiven Unterrichts für alle Schülerinnen und Schüler. Vierbuchen (2015) wies für Trainings, die auf der Theorie der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung (Lemerise & Arsenio, 2000) basieren, kleine bis mittlere positive Effekte auf die soziale Kompetenz nach. Bemerkenswerterweise konnten diese positiven Effekte auch aus Sicht der Lehrkräfte identifiziert werden. Ungeachtet der universellen Zuordnung erweisen sich kognitiv-behaviorale Trainingsprogramme auch für Jugendliche mit Lern- und Verhaltensproblemen als vorteilhaft (Blumenthal et al. 2020, S. 52).
Selbstredend sollten diese Förderprogramme in hochwertigen Unterricht (vgl. Classroom Management) eingebettet werden.
Literatur
Literatur
Blumenthal, Y., Hillenbrand, C., Hartke, B., Hennemann, T., Casale, G. & Vierbuchen, M.‑C. (2020). Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten und emotional sozialen Entwicklungsstörungen: Förderung in inklusiven Schulklassen (1. Auflage). Handlungsmöglichkeiten schulische Inklusion. Verlag W. Kohlhammer. https://doi.org/10.17433/978-3-17-033837-1
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP) (2015). S3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung bei der Lese- und/oder Rechtschreibstörung. Abruf am 31.01.2025, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/028-044
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e.V. (DGKJP) (2018). S3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung bei Rechenstörung. Abruf am 31.01.2025, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/028-046
Groeger-Roth, F. (2024). Grüne Liste Prävention – die Empfehlungsliste evaluierter Präventionsprogramme. Abruf am 31.01.2025, https://www.gruene-liste-praevention.de
Hillenbrand, C. (2015). Evidenzbasierung sonderpädagogischer Praxis – Widerspruch oder Gelingensbedingung? Zeitschrift für Heilpädagogik 66 (7), 312-324.
Lemerise, E. A. & Arsenio, W. F. (2000). An integrated model of emotion processes and cognition in social information processing. Child Development, 71, 107–118.
Vierbuchen, M. C. (2015). Förderung sozial-kognitiver Informationsverarbeitung im Jugendalter–Konzeption und Evaluation eines Förderprogramms unter besonderer Berücksichtigung spezifischer Risikofaktoren für schulischen Dropout (Doctoral dissertation, Universität Oldenburg).
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